Egal wann, egal wo und egal zu welchem Anlass, Hanno hält
mit seinen Neigungen nicht hinter dem Berg. Das nervt. Ein bisschen wenigstens. Er
ist ein lieber Kerl. Einer, dessen Umgang mit seinen Mitmenschen ebenso warm
ist wie seine Stimme. Ich treffe mich ab und zu mit ihm. Schließlich haben wir
zusammen Abitur gemacht. Und wir waren letztes Jahr zusammen bei dem Status-Quo-Konzert.
Auf dem Rückweg haben wir im Auto die Hits der Neuen Deutschen Welle gegrölt. Volle
Kanne. Was die Stereoanlage und unsere Stimmen hergaben. Ein sensationeller
Herrenabend. Wie eben alle Abende mit ihm. Ich mag ihn recht gern. Zugegeben:
Anfangs hatte ich meine Probleme mit seiner Offenheit. (Ja, man kann sich auch
mit Anfang Fünfzig gehörig fremdschämen.) Mittlerweile habe ich begriffen, dass
es erstens zum Habitus von Swingern gehört, sich auch öffentlich dazu zu
bekennen, und zweitens, dass Hanno etwas richtig macht: Er lebt seine
Phantasien.
Das tue ich nicht. Swingen gehört auch nicht zu meinen
Phantasien. Ich tue es nicht, weil mir die Partnerin dazu fehlt. Paula hat
keine Phantasien. Ihr Porno-Kopfkino ist lange schon geschlossen. Hanno und ich
verabschieden uns. Ich trotte zur Bushaltestelle und nehme den 0:40er. Ich
starre auf die regennasse Straße. Ich denke darüber nach, ob Paulas Kopfkino
überhaupt je eröffnet wurde. Etliche Male hat sie exaltiert „Beweg‘ dich, stoß
zu, fick mich!“ gefordert. Okay. Ein anderes Mal hat sie mir angeboten, zu tun,
was ich will. Gegen den Versuch, Ihre Brustwarzen mit ihrem Vaginalsekret zu
befeuchten, hat sie sich gewehrt. Nicht okay. Ihre Antwort auf meine Frage –
und ich stelle sie häufig während wir miteinander schlafen – worauf sie denn
jetzt Lust hätte, ist stereotypisch: „… ist alles gut so …“. Oralverkehr – hatten
wir den mal? Leidenschaftlich geknutscht haben wir schon seit Jahren nicht mehr.
Es kommt mir vor, als hätte ein richtiger Zungenkuss mit Paula die Erotik eines
Beischlafs mit ihr längst überflügelt. Das Thema Phantasien zu besprechen,
vielleicht sozusagen postkoital oder gar außerhalb des Bettes – ausgeschlossen.
Darauf reagiert Paula nicht. Sie hat buchstäblich jedes Gefühl dafür verloren.
Diese Gedanken sind – das liegt in der Natur der Sache – quasi
das Ticket zu meinem Kopfkino. Als ich ins Schlafzimmer schleiche, höre ich
Paulas gehauchtes Schnarchen. Die Live-Performance fällt heute leider aus. Die
Hauptdarstellerin ist verhindert.
Heute ist Samstag. Ich habe es endlich mal geschafft: Ich sortiere
Hosen, Hemden und T-Shirts aus, die ich nicht mehr tragen möchte. Da hat sich
ein beträchtlicher Hügel angesammelt. Ich freue mich. Ich bin gut gelaunt.
Paula kommt vom Joggen nach Hause. Sie trägt das violette kurze Sporttop. Ihr nackter
Bauch glänzt vom Schweiß. Der Projektor in meinem Kopfkino springt an. Ich
lächle, sie gibt mir einen Begrüßungskuss. Flüchtig. Ich streichle ihren Po,
als sie sich zwischen mir und dem Ausmistwäschestapel durchschlängelt. Sie knotet
die Laufjacke von ihren Hüften, legt sie auf den Sessel. Der Projektor hat
jetzt Betriebstemperatur. Ich tue so, als räumte ich den Stapel mit dem Fuß beiseite,
streichle über ihren Bauch. Diesen irrsinnig flachen Bauch. Den Bauch, der mich
am meisten anmacht. Paula weicht zurück: „Lass‘ mal, ich schwitze.“ POFF – die Glühbirne
im Projektor platzt, das Licht geht aus. Und die Ausmisterei weiter. Paula zieht
sich aus; nackt schlängelt sie sich wieder an mir vorbei Richtung Dusche. Ich sehe nicht hin. In
dem Dunkel, das die zerborstene Projektorbirne hinterlassen hat, ist ohnehin
nichts zu erkennen.
Am Abend sitzen wir beim Essen auf dem
Balkon. Paula trägt jetzt ein ärmelloses Top. Mit tiefem V-Ausschnitt. Einen BH
trägt sie nicht. Irgendein Spaßvogel setzt den Projektor wieder in Gang, als
ich ihr aufs Dekolleté schiele. Die Jungs sitzen nebeneinander und kaspern
herum: Mit seinem Zeigefinger piekt der ältere dem jüngeren in Schulter, Armen
und Rücken. Als er ihm in den Bauch sticht, faucht der Gepiesackte: „Du Schwuchtel,
hör‘ auf an meinem Bauch rumzufummeln!“ „Ooooch, der Kleine“, kommt postwendend
die Replik, „hat Aua-Bauch“. Jetzt mischt sich Paula ein: „Du, ich kann das
verstehen. Ich werde auch nicht so gerne am Bauch angefasst.“
Als die Kinder im Bett sind, informiere ich Paula, dass ich
noch mit meinen Kolleginnen verabredet sei.
Ich gehe tanzen.