Sonntag, 6. April 2014

Einkaufstrainer

Mathias ist Linkshänder. Und Gourmet. Für einen guten Wein fährt er schon mal 80 Kilometer. Für  ein gutes Stück Fleisch auch: Der 800-Gramm-Kawenzmann liegt sauber pariert auf der Arbeitsfläche. Mathias macht sich daran, portionsgerechte Stücke abzuschneiden. „Scheiße!", flucht er. Die erste Scheibe edlen französischen Bœufs flappt zugegebenermaßen ziemlich verkorkst auf den kalten Marmor. „Wieder mein Linkshändermesser zu Hause liegen lassen“, erklärt Mathias seinen Fluch. In einem kurzen Exkurs erläutert er mir, dass Messer in einem speziellen Winkel geschliffen werden, so dass der Schnitt gelingt. Für Rechtshänder. Normalerweise. Und er zeigt mir, wie man ein Messer für den optimalen Schnitt ansetzt. Wieder was gelernt

Paula, die Kinder und ich sind Zelten. Die Sonne steht eben über dem Kamm des Massif Central, der leichte Dunst über dem schweren Tau verbreitet romantische Stimmung. Der Kleine tapert  zum Empfangskiosk, holt die Tüte mit Baguette und Croissants. Der Espresso zischelt durchs Steigrohr der Caffettiera. Wir gucken alle ein wenig verknautscht aus unseren Schlafsackgesichtern: „Endlich Frühstück!“ frohlockt der ältere der Brüder.

Paula nimmt sich ein Baguette, platziert es auf dem campingtischtypisch wackeligen Campingtisch, schneidet eine Scheibe – nun ja, eher ein keilförmiges Stück Brot – ab. „Du musst das Messer so winkeln, dass die Schneide leicht von oben links nach unten rechts verläuft“, versuche ich das Mathias’sche Wissen weiterzugeben. Vielleicht der etwas autoritären Formulierung oder dem nächtlichen Liegekomfort geschuldet, drückt Paula ab: „Pass mal auf mein Lieber, ich bin 46 Jahre alt und brauche sicher keinen Coach, der mir erzählt, wie ich Brot zu schneiden habe, ja!?“ Es ist definitiv dem Mangel an Kaffee geschuldet, dass ich auf diese Bemerkung nicht eingehe. Ich nehme mir ein Croissant.

Heute hat Paula Frühschicht. Wie immer übernehme ich den Wochenendeinkauf. Ich brauche einige Dinge, die man nur in der Stadt bekommt. Paula hat das Auto. Also fahre ich mit dem Zug zur Klinik, hole das Auto, fahre zum Supermarkt, stelle das Auto mit den Einkäufen wieder auf den Parkplatz. (Die Sachen, die gekühlt werden müssen, trage ich im Rucksack nach Hause.) Leider bin ich etwas überhastet aufgebrochen, bin nicht recht im Bilde, ob etwas im Haushalt fehlt. Also packe ich vorsichtshalber Klopapier, Küchenrolle und zwei Sechserpacks Apfelschorle ein. 

Paula kommt nach Hause. Mit den Einkäufen. Sie klingelt, sie ist mit Apfelschorle bepackt. Ich drücke den Türöffner und mache die Wohnungstür auf, will Paula die schweren Flaschen abnehmen. Sie drängt mich zur Seite. Möglicherweise hat sie heute zu wenig Koffein abbekommen: Ihr Schlechte-Laune-Maschinengewehr ballert los: „Du musst vielleicht mal checken, ob noch Klopapier, Küchenrollen oder Getränke da sind, bevor du einkaufen gehst. Das habe ich alles schon am Mittwoch besorgt!“ Ich habe, erstens, ausreichend Kaffee getrunken und bin, zweitens, 46 Jahre alt und brauche sicher keinen Coach, der mir erzählt, wie ich einzukaufen habe. Meine Retourkutsche ist nicht minder zaghaft: „So, nun pass du mal auf, meine Liebe. Und es ist mir scheißegal, dass du gerade nach dem Dienst heim gekommen bist. Mag sein, dass ich meinen Einkaufszettel nicht so organisiert zusammenstelle, wie du. Mag auch sein, dass ich nicht so den Überblick habe. Oder vielleicht interessiert es mich – wie du ja so gerne behauptest – nicht, was in diesem, übrigens unserem gemeinsamen, Haushalt abgeht! Egal wie oder warum, jede noch so kleine Bemerkung zum heutigen Einkauf ist vollkommen unnötig. Weder Klo-, noch Küchenpapier, noch die Apfelschorle werden hier schlecht! Wenn du rumkacken willst, dann bitte woanders. Ich hab’s echt nicht verdient. Also halt dich zurück, halt dich einfach zurück, ja!?“

Der heftigste Streit seit Monaten entbrennt. Ich habe die Nase gestrichen voll. Ich versuche Paula lautstark klarzumachen, dass auch eine Depressionspatientin fair bleiben muss und dass das meiner Meinung nach auch ganz einfach möglich ist: Einfach nur mal den Mund halten. Zum Beispiel. Paula sieht das anders. Ich hätte ihren Zustand völlig aus den Augen verloren. Ich müsse auf sie Rücksicht nehmen und nicht umgekehrt. Wir sind voll in Fahrt, wir werden immer lauter, die Argumente – falls es überhaupt noch welche sind – hochgradig emotional, verletzend. Es rauscht im Karton. Die Kinder streunen auf der Treppe herum, der Große sagt halblaut: „Das muss doch jetzt nicht sein.“ 

Ich reiße die Schlafzimmertür auf, hinter der Paula und ich mittlerweile streiten. „Doch, manche Dinge müssen manchmal sein!“

Das Wochenende ist eh wiedermal im Eimer.