Entledigte sich La West angeblich mit dieser stereotypischen
Begründung eines Liebhabers von einhundert, hat Paula in 99 von einhundert
Fällen ähnliche Erklärungen parat, ein Schäferstündchen abzuwenden. Und das
meist schon frühzeitig präventiv. So empfinde ich das. Leider allzu oft. Die
Palette reicht von eben Migräne oder Kopfweh, über das Iliosakralgelenk nach
dem Joggen oder verkrampfte Waden, bis zu Vitaminmangel oder schlimmstenfalls Flatulenz.
Dieses Feuer im ehelichen Krisenherd glimmt ständig. Paula und ich, wir wissen beide
um das unausgewogene Wollen-/Könnenverhältnis. Das schafft Raum für fehlgeleitete
Interpretationen des Verhaltens des jeweils anderen. Und erhöht das
Konfliktrisiko.
Es ist bereits 3:30 Uhr. Mitten in der Nacht. Paula und ich kommen
nach Hause. Mit Freunden und Kollegen haben wir Party gemacht. Ordentlich Party.
Die Knochen tun (vermutlich uns beiden) weh, mir auch noch der Schädel.
Trotzdem habe ich mächtig Lust auf Paula. Wir packen uns ins Bett, unter eine
Decke, meine Hände dringen in zwar bekanntes, jedoch immer wieder reizvolles
Körperterrain vor. Die Lider liegen schwer auf den Augäpfeln, die horizontale
Lage entspannt mich. Sehr sogar. Zu sehr. Ganz. Ich schlafe ein.
Irgendwann fordern Alkoholgenuss und die ausgleichende Aufnahme
von Flüssigkeit in Form von Apfelschorle Tribut. Ich schleiche zur Toilette,
Paula wird wach, Paula geht zur Toilette. Danach gehen meine Hände wieder auf
Entdeckungstour. Bei mir löst die entspannende Horizontale nun eine Schwellung
aus. Paula schläft ein.
Jetzt ist es kurz vor 9:00 Uhr. Durch das offene Fenster
kommt sommerliches Licht herein. Und der rurale Pollenmix. Paula und ich sind
wach. Paula schnieft. Unsere Lust ist geblieben. Wir kommen wieder unter einer
Decke zusammen, unsere Forscherhände unter unserer Wäsche. Paula hat eine davon
in meinem Slip. Der horizontalbedingte Entspannungseffekt doppelt sich.
Plötzlich lässt Paula von mir ab. Sie richtet sich auf, zieht den
Pollengeschwängerten Nasenschleim hörbar nach oben. Sie fängt an, wie wild auf
und in ihrem Nachttisch herumzuwühlen. Sie sucht etwas. Sie findet es nicht.
Sie rotzt weiter. Es vergehen ein paar Minuten, die mir wie eine halbe Ewigkeit
vorkommen. Paula sucht jetzt unter dem Bett. Dumpf dringt ihr ungehaltenes Gebrabbel
zu mir: „Wo ist diese Packung Tempos? Hat die jemand weg? Mann, Mist.“ Und
wieder fährt Schleim Nasenaufzug. Sie macht Anstalten, aufzustehen, um ins Bad
zu gehen. Ich drehe mich um. Zur anderen Seite. Paula kommt wieder, legt sich
hinter mich und ihre Hand auf meine Hüfte. Dort regt sich nichts mehr. „Bist du
jetzt sauer?“, fragt Paula. Ich hole tief Luft, sehr tief: „Schon ziemlich abtörnend
so was“.
Wir streiten uns fast eine Stunde lang. Zunächst über „so was“,
dann über Erwartungen und schließlich über die Unfähigkeit, den jeweils anderen
auch nur ansatzweise verstehen, respektieren oder akzeptieren zu können.