Samstag, 18. Mai 2013

Priorität: Frischkäsetorte

Sie merkt es gar nicht mehr. Es – sorry, wenn ich schon wieder damit anfange, aber für mich ist es derzeit ein so drängendes Thema (wenn nicht Problem) – es, das heißt Zärtlichkeit oder Sex. Paula merkt es nicht mehr. Jegliche Sensoren, jede Wahrnehmung dafür sind verloren, verschüttet, ausgeschaltet. Jedenfalls glaube ich das. Auch wenn sie mir ständig vorhält, diese drei Pfui-Lettern stünden mir auf der Stirn. Wahlweise eingebrannt oder in Leuchtschrift. Ich kann (leider) nicht nachfühlen, wie es ist, wenn die Fleischeslust erlischt. Oder bereits erloschen ist. Weil meine eben brennt. Ziemlich sogar (auch: leider).

Heute Morgen im Bett legt Paula einen Arm um mich. Das erste Mal seit vier, nein, seit fast fünf, Wochen. Natürlich schwellen Hoffnung und Lende sofort. Aber – boshaft gesagt: mittlerweile ebenso natürlich – bleibe ich gleichermaßen vorsichtig wie skeptisch. Nur nichts falsch machen. Im Klartext: Zuallererst Paula nicht unter Druck setzen. Herausfinden, was sie will. Ob sie es will. Meine Skepsis ist berechtigt. Denn es passiert nichts. Nada, niente. Außer dass Paula ständig mit Arm und Hand zuckt. Ich glaube, Mediziner sagen „Restless-legs-syndrom“ dazu. Jede einzelne Bewegung elektrisiert mich. Paula merkt das nicht. Definitiv nicht. Denn sie ist wieder eingeschlafen. Das muss nicht viel bedeuten, sie schläft immer schnell ein. Jedoch nicht immer tief. Ich schiebe mich an sie heran, lege meine Hand auf ihren Arm, bewege mich, ändere die Liegeposition einige Male. Paula merkt es nicht. Oder sie lässt sich nichts anmerken.

Ich schiebe mich weiter an sie heran, lasse das Becken ein bisschen kreisen, hole tief Luft. Paula zieht ihren Arm zurück, legt sich auf den Rücken, verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Schläfrig murmelt sie, der Wein sei ihr gestern Abend wohl nicht bekommen. Das „Wieder-nichts“-Fähnchen wedelt vor meinem inneren Auge herum. Ich veratme meine Erektion. Übung macht den Meister: Das schaffe ich mittlerweile in wenigen Minuten. Ebenso zügig kommt mir dafür jetzt die Galle hoch. Ich entziehe mich Paulas Umarmung, mumifiziere mich unter meiner Decke. Ich starre einige Zeit in die aufkeimende Helligkeit des Morgens. Dann schaue ich nach der Uhrzeit: Viertel vor acht. Zu früh zum Aufstehen. Eigentlich. Doch die Galle ist derart bitter, dass ich mich auf die Bettkante setze. Das (nun wieder) merkt Paula: „Willst etwa du Brötchen holen?“, fragt sie mit deutlicher Betonung auf dem „du“. Das macht sie, weil ich seit ein paar Wochen mit der Diagnose Zöliakie lebe(n muss) und keine glutenhaltigen Dinge, also auch keine „normalen“ Brötchen mehr essen kann. Ausgesucht patzig antworte ich, dass ich jetzt erst mal aufstünde und dusche. Wir würden dann schon sehen, wer Brötchen hole. Nun merkt Paula etwas. Glaube ich. Sie steht auch auf und nuschelt, so könne es eventuell besser werden.

Während des Frühstücks – Paula hat die Brötchen geholt – wird es tatsächlich besser. Wir haben für eine Woche Besuch. Die schwelenden Probleme und Zerwürfnisse lassen wir uns einerseits nicht anmerken, andererseits entspannt die lockere Erzählatmosphäre die Situation tatsächlich. Alle zusammen schmieden wir Pläne für das Abendessen, ich schreibe den Einkaufszettel, die Besucher brechen zu einem Ausflug, Paula und ich zum gemeinsamen Einkauf auf. Das macht Spaß, wahrscheinlich auch deshalb, weil wir immer noch kindlich-neugierig die Supermarkt- und Reformhausregale nach glutenfreien Produkten durchstöbern. Meine Hoffnung schwillt wieder. Die Lende noch nicht. Schließlich stehen wir noch an der Kasse.

Wir kommen nach Hause, die Kinder spielen Wikingerschach im Garten. Wir schleppen die Einkäufe nach oben. Paula verräumt die Getränke, ich das Obst. Ich finde, die Stimmung ist gut. Gut genug, um mich ganz dicht neben Paula zu stellen, meinen Kopf auf ihre Schulter zu legen, ihren Po zu streicheln. Ich kann hören, wie die Kinder eine neue Partie beginnen. Jetzt schwillt auch wieder meine Lende. Paula dreht sich um. In die "falsche“ Richtung (wieder einmal: leider). „So, dann mache ich mal die Frischkäsetorte. Wo hast du die Erdbeeren hin?“.

Ich presse „in den Kühlschrank“ heraus, gehe nach oben und schreibe diesen Text.


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