Sonntag, 7. April 2013

Der Bringer: Urlaub

CAN510 – Paula und ich entscheiden uns für das Objekt CAN510 im aktuellen Katalog: Eine Ferienwohnung in einem kleinen Ort oberhalb von Cannobio am Lago Maggiore: Zwei Schlafzimmer, drei (!) Bäder, Wohnzimmer, Küche und … Seeblick. Alles dabei, was wir uns vorstellen. Was wir Eltern uns vorstellen. Angeblich gibt es via Satellit auch deutsch(sprachig)e Fernsehprogramme. Das verschweigen wir den Kindern. (Vorerst zumindest! Am dritten Tag vor Ort kriegen sie das ohnehin spitz.) Wir wollen raus aus der täglichen Mühle. Einfach Tapetenwechsel. Fertig. Mehr nicht. Für eine Woche. Spontan. Vorgestern noch wollten wir auf den Urlaub verzichten. Hauptsächlich der Kohle wegen. Aber vielleicht bekommt Paula in den Pfingstferien einen Therapieplatz. Dann können wir die Kinder zu Paulas Vater schicken. Der freut sich drauf, macht schon Pläne. Also auf zum Lago Maggiore!

Paula ist euphorisch. Sie kennt den „Lago“ seit ihren Jugendtagen, wir selbst waren mit den Kindern schon zweimal dort. Und sie will raus. Ich bin skeptisch. Nicht nur wegen Paulas Euphorie. Sie ist die Hüterin der Finanzen. Ermahnt mich stets, aufs Geld zu achten. Nachdem ihrer Meinung nach zu viel Geld ausgegeben wurde, hängt sie tagelang wortlos in einem schwarzen Loch. Schwierig. Außerdem: Wer weiß, wie ein Urlaub während dieser ärgeren Depressionsphase wird? Gehen wir uns alle gegenseitig auf den Zeiger? Das aber kann auch passieren, wenn wir zuhause bleiben. Vielleicht sogar noch eher. Also auf zum Lago Maggiore!

Auf mdr flimmert „Fakt ist …!“ zum Thema „Depression – die neue Volkskrankheit“ über den Äther. Die Moderatorin Ines Krüger nervt. Sie quatscht zu viel, zu laut und zu nichtssagend dazwischen. Vielleicht liegt’s daran, dass dieser ihr letzter Auftritt in dieser Sendereihe ist. Sei’s drum, die ganze Sendung bleibt sehr an der Oberfläche. Nichts (Neues) für Betroffene und deren Angehörige. Ich döse mehr, als dass ich zuhöre. Als Prof. Dr. Ulrich Hegerl vom Uniklinikum Leipzig zu Wort kommt, werde ich hellhörig. Sinngemäß gibt er zum Besten, dass wegfahren, rausgehen, in Urlaub fahren nichts bringe. Die Depression „reise ja mit“. Gut, vielleicht habe ich den Einstieg in diese Diskussionssequenz verdöst. Vielleicht kriege ich zu dieser späten Stunde den Kontext nicht mehr so recht hin. Doch der Stachel dieses Statements ist gesetzt. Schöne Aussichten für den Lago.

Signore Francheri, der Besitzer der Ferienwohnung, ist ein herzensguter Mann. Umwerfend sympathisch. Sehr um unser Wohl bemüht. Seine unverfälschte, etwas unbeholfene Innigkeit ist ein toller Einstieg in die paar Tage Urlaub. (Über das Wetter dieses Jahrhundertwinters rede ich an dieser Stelle nicht.) Die Wohnung ist 100 % schnuckelig, liebevoll renoviert, im Grunde riesig für vier Personen. Das Bergdorf verströmt einen mittelalterlichen Charme. Die Kinder sind begeistert. Paula und ich ebenfalls. Alle meine Zweifel fallen in dem Moment ab, als auch das Wohnzimmer durchgeheizt ist. Wir sind die ersten Gäste der Saison. Sogar die ersten Gäste überhaupt in dieser Wohnung, wie sich am Ende der Ferienwoche herausstellen wird. Wir finden einen BILLA-Supermarkt in erreichbarer Nähe. Versorgen uns mit Prosciutto crudo, salame, formaggi, Barolo Piemontese, crema choco spalmabile und den nötigen landestypischen österlichen Spezereien. Wir essen ebenso landestypisch spät zu Abend. Danach spielen wir zwei Runden „Phase 10“. (Noch haben die Kinder nicht spitz gekriegt, wie man die deutsch(sprachig)en Fernsehprogramme einstellt.) Müde, aber schon nach wenigen Stunden Urlaub tiefenentspannt fallen Paula und ich ins (zugegeben landestypisch etwas zu weiche) Bett. Trotz des frühen Aufstehens um 5:30 Uhr, der langen Autofahrt, dem Wohnungsbezug, der Einkaufstour habe ich Lust auf Paula. Und sie auf mich. Der Tag klingt perfekt aus. Für ein paar Minuten liege ich danach noch wach und denke an Prof. Dr. Ulrich Hegerl. Wovon hatte er gleich noch gesprochen?

Das ist mir in dem Moment – auf gut Deutsch gesagt – scheißegal.

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