Ich verliebe mich über beide Ohren! Am Montag rufe ich im
Autohaus an. Ich frage direkt nach Frau Haske. Sie ist etwas überrascht, aber
sie sagt „ja“ zu meiner Einladung zum Bier. Wir treffen uns. Wir plaudern ein
bisschen aus unseren bisherigen Leben. Ich kriege nicht so viel mit. Ich
schmachte sie an und versuche, nicht vom Barhocker zu kippen. Immerhin: Ich
nenne sie jetzt Carine. Und ich weiß, dass sie drei Jahre jünger ist als ich.
Am nächsten Tag mache ich mit meiner derzeitigen Freundin Schluss. Ein
Tränendrama. Carine sagt noch ein paar Mal „ja“ zu meinen Einladungen. Eines
Abends erzählt sie mir von ihrem Freund. Das einschießende Adrenalin betäubt
mich. Trotzdem lade ich sie nochmals ein. Zu einem martialischen
Aktionstheater. Flammen, Blut und Lärm. Carine bietet an, mich danach nach Hause
fahren. Sie hat einen Firmenwagen. Als coole Juniorautoverkäuferin gehört sich das.
Ich sage „ja“. Auf der Fahrt frage ich sie, warum sie sich mit mir trifft. Sie
weiß es nicht. Ich fühle mich ausgenutzt. Gekränkt. Ich flippe aus. Ich schreie
sie an. Ich vergesse mich. Auf halber Strecke soll sie mich rauslassen. Ich knalle
die Autotür so heftig zu, dass sie wieder aufspringt. Nach dem zweiten
Türschließversuch fährt Carine davon. Das ist 23 Jahre her. Ich habe sie nie
wieder gesehen.
Schulfest. Es ist eine private Schule. Klein, überschaubar.
Viele Eltern kennen sich. Die meisten haben ihre Kinder auf Empfehlung anderer
Eltern hier eingeschult. Paula hat keine Zeit, ich gehe mit den Kindern alleine
hin. Ich sitze mit Freunden zusammen. Eine Bekannte von ihnen kommt in dem
Moment dazu, als ich aufstehe, um mir einen Kuchen zu holen. Am Kuchenstand
höre ich von hinten eine Stimme: „Kennen wir uns nicht irgendwie von früher?“
Ich denke: „Scheiß Anmache“ und drehe mich um. Neugier siegt. Die Stimme gehört
der Bekannten unserer Freunde. Es ist … Carine. Das einschießende Adrenalin
betäubt mich. Ich sage: „Ja, ja klar.“ Sie sagt: „Weißt du noch, wie ich
heiße?“ Was für eine Frage! Hallo? „Carine Haske“, sage ich, „vielleicht heißt
du kraft Heirat jetzt anders, aber das weiß ich natürlich nicht.“ Ihr immer
noch hübsches Gesicht formt eine anerkennende Miene: „Horum, ich heiße jetzt Horum“.
Diesen Namen fand ich schon seltsam, als sie mir vor 23 Jahren von ihrem Freund
erzählt hatte. Wir plaudern ein bisschen aus unseren Leben. Und wir verabreden
uns. Einmal. Zum Kaffee in der Mittagspause. Ein zweites Mal. Beim dritten Mal
treffen wir uns in der renovierten wiedereröffneten Churchill-Bar. Abends. Sie
erzählt mir von ihrem Mann. Sie haben Knatsch. Er fühle sich nicht mehr
geliebt. Später entschuldige ich mich für meinen theatralischen Abgang vor 23
Jahren.
Am Donnerstag gibt es ein Konzert von Kakkmaddafakka (Die
heißen wirklich so.) Ich habe Lust hinzugehen. Ich habe ein Faible für junge
Indiebands. Und ich mag melodiösen Gesang. Weil diese Leidenschaft kaum einer
meiner Freunde teilt, lade ich Carine ein. Sie sagt „ja“. Am Mittwoch haben
Paula und ich Streit. Es geht mal wieder um Thema Nummer Eins. Sie fühlt sich
bedrängt, ich mich – ganz buchstäblich – unbefriedigt. Ein Wort gibt das
andere, wir kommen von Höckscken auf Stöckscken. Es eskaliert und prompt sind
wir mitten in der Nacht lautstark in eine Grundsatzdiskussion über Beziehung,
Ehe, Sex und Depression verwickelt. Ich wünsche mir ein Beißholz. Irgendwann
gebe ich einfach keine Antwort mehr. Es ist nur noch Schweigen. Im Grunde
bis Freitagfrüh.
Carines bestickte Cowboystiefel dünken mir etwas übertrieben.
Im Publikum stehend sehe ich sie aber nicht. Nach dem dritten Bier aus der
Flasche sind mir die Dinger dann egal. Carine zieht ihre Jacke aus. Ich stehe
etwas versetzt hinter ihr. Ich sehe sie an. Nein – ich scanne sie ab. Sie ist
schlank. Das gefällt mir. Kleine Brüste sowieso. Ich hole mir noch ein Bier.
Carine will keines mehr. Ich platziere mich genau da, wo ich vorher stand. Bei
einer Gänsehautballade lehnt sich Carine ganz leicht nach hinten. Bilde ich mir
zumindest ein. Unsere Schultern touchieren sich. Das bilde ich mir nicht ein.
Ich habe eine unbändige Lust, sie zu berühren. Eine Hand habe ich an der
Bierflasche. Die andere in der Hosentasche. Ich knülle den Futterstoff
zusammen, knete ihn. Ich ziehe das Bier in Rekordzeit aus der Flasche.
Nach dem Konzert gehen wir … noch ein Bier trinken. Ich
sitze ihr gegenüber. Wir sehen uns an. Ich frage: „Alles klar bei euch
zuhause?“ Sie erzählt mir, dass ihr Mann ans Ausziehen denke. Aber zunächst
gingen sie mal in Urlaub. Ob sie sich und ihren Mann, sich und ihre Kinder oder
alle zusammen meint, bleibt offen. „Und bei euch?“ kommt es messerscharf
retour. „Och, naja“, sage ich, „man hat halt Höhen und Tiefen.“ Nachdem ich die
fünfte Flasche Bier geleert habe, bietet Carine mir an, mich zum Bus zu fahren.
Ich sage „ja“. Am Bahnhof verabschieden wir uns. Ich lasse die Autotür leise
ins Schloss fallen. Carine fährt davon.
Wieder zuhause liege ich mit offenen Augen neben Paula im Bett. Sie
schläft. Atmet ruhig. Ich lege meine Hand auf ihren Unterarm, der unter der
Decke hervorlugt. Ich denke: „Hey Alter, was machst du?“ Das ist vier Wochen
her.
Ich habe Carine seither nicht wiedergesehen.
Ich finde mich in eher in Paulas Situation wieder, und die Angst überkam mich beim Lesen, gefolgt von leichter Übelkeit :-/
AntwortenLöschenAngst, dass es "meinem Paul" genauso geht...