„Ich habe den Kindern gesagt, sie sollen um halb sieben hier
sein“, sagt Paula, wir müssen heute früher essen. Ich muss um halb acht zur
Generalprobe vom Chor“. Ja, weiß ich“, sage ich, obwohl ich nicht weiß, wann
die Probe anfängt. „Soll ich“, fragt Paula, „meine Plünnen für den Nachtdienst
gleich mitnehmen, falls die Probe länger dauert. Oder soll ich nochmal nach
Hause kommen, bevor zum Dienst gehe?“ De facto bleiben zwischen Probenende und
Aufbruch zum Dienst 35 Minuten. Ich analysiere: „Naja, es gibt doch nur zwei Möglichkeiten:
Wenn du dein Zeug gleich mitnimmst, kannst direkt zum Dienst fahren ohne in
Stress zu kommen. Wenn du nochmal heimkommen willst, musst eben rechtzeitig gehen,
egal ob die Probe zu Ende ist.“ „Ja, stimmt“, sagt Paula tonlos. Mehr nicht.
Während sie ansetzt, die Zutaten für die Beilagen aus dem Kühlschrank zu holen, klagt sie weiter: „Ach, das klappt alles gar nicht. Die Tenöre haben gestern in der Probe komplett versagt.“ Ich nehme ihr den Lachs ab, „lass nur, ich mach‘ das. Du kannst dich ja anziehen.“ Sie zieht sich an und kommt danach wieder in die Küche: „Ich habe überhaupt keine Lust, in die Probe zu gehen.“ Ich wasche die Tomaten und nehme diesen Satz zur Kenntnis. Mehr nicht.
Die Jungs kommen nach Hause. Stinken wie die Otter und sehen
auch so aus. Wir scheuchen sie ins Bad. Nachdem sie sich eher notdürftig den
Bolzplatzmatsch von den Gliedern gekratzt haben, gibt es Abendessen. Sie
schildern ihre Heldentaten, sind ziemlich aufgekratzt und eine Spur zu laut. Werde
ich mich nicht dran gewöhnen. Paula stochert in der einzigen Kartoffel, die sie
sich genommen hat: „Ich habe irgendwie keinen Hunger.“ Den Kindern ist die
Bananenflanke von Samuel in der zweiten Halbzeit wichtiger. Ich sehe Paula an.
Mehr nicht.
Wir sitzen noch ein paar Minuten zusammen, die Kinder
beraten sich nun über das TV-Programm des Abends. Paula unterbricht die
Debatte: „Hoffentlich ist es Morgen nicht so kalt in der Kirche während des
Konzerts. Ich weiß gar nicht, was ich anziehen soll. Vielleicht eine Hose; im
Rock habe ich beim letzten Konzert gefroren.“ Mir scheint der Gedanke folgerichtig:
„Ja, mach doch“, sage ich. Mehr nicht.
Pünktlich um halb acht bricht Paula zur Probe auf. Die
Tasche für den Dienst nimmt sie nicht mit. Die Kinder ziehen sich einen Bud-Spencer-&-Terence-Hill-Filme
rein. Ich surfe im Internet. Der Film ist gerade zu Ende, als Paula zurückkommt.
Die Art, wie sie die Handtasche auf den Garderobenstuhl knallt, nimmt ihre
Stimmung vorweg. Sie explodiert: „Ich weiß überhaupt nicht, wie Günter (das ist
der Dirigent) sich das vorstellt. Da klappt nichts. Das Orchester hat einen
Scheiß gespielt. Im Chor war Vollchaos. Wir sind halt keine Profis. Wir
brauchen mehr Proben. Das geht so was von in die Hose Morgen.“ Sie setzt sich
an den Tisch. Vergräbt das Gesicht in den Händen.
Das ist jetzt genug! Mit leicht belehrendem Unterton bitte ich sie: „Dann lass‘ es doch. Den Stress musst du dir nicht reinziehen.“ Ich ahne, dass das sinnlos ist: „Nein, ich gehe da schon hin. Das kann ich nicht bringen, beim Konzert nicht mitzusingen.“ Sie geistert eine viertel Stunde durch die Wohnung, putzt sich die Zähne. Dann zieht sie sich den Mantel an, um zum Nachtdienst zu gehen. Die Tür fällt ins Schloss.
Totenstille.
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