Sonntag, 17. Februar 2013

Ohnmacht - fast.

Unsere Kinder sind die größten Star-Wars-Fans westlich von Santa Fe: „Papa, gut, dass dabei gewesen du nicht bist“, begrüßt mich unser jüngstes Kind in bester Yoda-Grammatik als ich nach Feierabend nach Hause komme. Mein Blick leuchtet wohl wie ein zum Fragezeichen gewordenes Lichtschwert. Deshalb legt das Kind breit grinsend nach: „Genäht worden bin ich!“ In dem Moment kommt Paula aus der Küche. Sie kocht das Abendessen. Stress steht ihr ins Gesicht geschrieben. Fast sieht sie aus wie Villain Silva (Javier Bardem) in dem James-Bond-Streifen „Skyfall“, als er sich die metallene Stütze aus dem vom Arsen zerstörten Gesicht genommen hat. „Kommst du mal bitte, Paul!“ Das Einatmen zwischen „bitte“ und „Paul“ kommt mir vor wie eine halbe Ewigkeit.

In der Küche schildert mir Paula, dass die Kinder im Wald Fangen gespielt haben. Schon auf dem Heimweg sind sie einen Hang hinunter gerannt. Unser Supermotoriker natürlich wieder vorneweg. Irgendwann war die angestrebte Laufgeschwindigkeit zu hoch für die kurzen Beine: Pardauz – direkt mit dem Hüftknochen auf einen kantigen Stein. Geblutet habe es „wie bei einem gestochenen Schwein“, meint Paula, „sei froh, dass du nicht dabei warst. Ich konnte beim Nähen die Knochenhaut sehen.“ Mir wird beim Schreiben noch übel bei dem Gedanken. Ein andermal musste dem Kind eine Kopfwunde genäht werden. Dabei bin ich – oh, Vater, du Held! – beinahe ohnmächtig geworden, hätte ich mich nicht neben mein Kind auf den Behandlungstisch gelegt.

Das ist gut ein Jahr her. Als ich vorgestern nach Hause komme, sind die Kinder oben beim Spielen, Paula alleine beim Kochen in der Küche. Noch bevor ich Jacke und Schuhe verräumt habe, ruft Paula „Kommst du mal bitte, Paul!“ Inklusive des lang gezogenen Einatmens. Ich kenne den Ton, ich bekomme ähnlich weiche Knie, wie damals bei der Kopfwundenoperation.

Paula hadert mit den Rahmenbedingungen für die geplante stationäre Therapie. Die Klinik, die ihr empfohlen wurde, nimmt zwar, wenn alle Stricke reißen, auch Überweisungen vom Hausarzt an, bevorzugt aber eine vom Psychiater. Der hat erst Ende nächsten Monats einen Termin für Paula frei. Dann würde sich der Klinikaufenthalt um mindestens zehn Wochen verschieben. Das ist außerhalb des Zeitraums, in dem ich für die Kinderbetreuung Urlaub genommen habe. Und leider auch in der Zeit, in der es an Paulas Arbeitsplatz Personalengpässe gibt – wegen der Ferien. Deswegen hat Paula ein schlechtes Gewissen: „Wenn ich da auch noch weg bin, gucken mich die Kollegen nie mehr an.“ „Ob dann wohl die Dorfhelferin ausgebucht ist?“, fragt sie sich außerdem. (Ich weiß es doch auch nicht.) Die Krankenkasse übernimmt Betreuungskosten nur für Kinder bis zwölf Jahre. Könnte passen, sofern das Geburtsdatum die Bemessungsgrenze darstellt, nicht das Geburtsjahr. Bei alledem wäre es Paula am liebsten, sie könnte gleich Morgen in die Klinik fahren. Das muss sie mir nicht sagen, es ist offensichtlich: Ihr Gesicht ist jetzt wirklich so eingefallen und fahl wie das von Villain Silva.

Ich versuche sie zu beruhigen, sage etwas von „ungelegten Eiern“, von „Klarheit, die wir uns verschaffen müssten“ und von „in der richtigen Reihenfolge sortieren.“ Das hilft nichts. Der Reis im Topf setzt etwas an. Wir brechen das Gespräch ab. Zuviel geht durcheinander. Im Moment, ganz generell.

Heute am frühen Morgen schlafen wir miteinander. Danach liegen wir wie die Löffel in der Schublade aneinander. Nackt, kuschelig und vertraut. Paula sagt mir, sie habe gestern einen Termin bei ihrer Hausärztin gemacht. Für kommenden Mittwoch. Und sie will die Krankenkasse wechseln. Sie hat eine ausgesucht, die die Dorfhelferin für Kinder bis zu 14 Jahren übernimmt.

Ich ziehe Paula ganz dicht an mich heran. Spüre ihre warme Haut und schlafe ein.

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