Sonntag, 3. Februar 2013

Alarm

Es schmerzt! Dieser gottverdammte Wecker! Unerbittlich bohrt er seinen digitalen Ton in meinen Gehörgang. Das nervt. Ich drehe mich um. Ich kann noch ein Stündchen pennen. Paula hat Frühschicht. Nur halb bewusst höre ich, dass Paula das Schlafzimmer verlässt. Alles wie immer.

Nein – nicht wie immer. Überhaupt nicht: Paula kommt zurück ins Bett. Stante pede bin ich wach. Elektrisiert. Paula legt ihren Kopf auf meine Schulter. Hier stimmt etwas nicht. Ganz und gar nicht. Irgendwie presse ich ein fragendes „Hmmmh?“ heraus, das ich ganz hinten am Gaumen erzeuge. Paula flüstert. Kaum hörbar. „Ich gehe heute da nicht hin.“ Ein neuer Stromstoß durchzuckt mich. „Ich gehe heute da nicht hin.“ Trotz des sonoren Tonfalls, sticht dieses „da“ ganz gewaltig hervor. „Da!“ Das klingt wertend. Negativ. Paulas ganze Abgespanntheit, ihre Labilität, ihre Grübelei, alles, alles, alles entlädt sich in diesen zwei Buchstaben.

Es ist das erste Mal, dass Paula nicht zur Arbeit geht, weil sie einen depressiven Schub hat. Die Synapsen in meinem Kopf spielen verrückt. Den Ernst der Situation überblicke ich in wenigen Sekunden. Es geht um Paula. In erster Linie geht es um sie. Selbstverständlich geht es um sie. Nicht arbeiten zu gehen, ist ein neues Symptom. Ihr Gesamtzustand verschlechtert sich. Mein Puls pocht in den Schläfen. Mit weit geöffneten Augen starre ich an die Decke. Nichts. Es ist noch dunkel.

Es geht auch um uns. Wir können uns das finanziell nicht leisten. Falls – ich betone: falls – Paula nicht mehr arbeiten könnte. Mittelfristig. Der Glühfaden des „Tilt“-Lämpchens im meinem Kopf beginnt zu glimmen. Gleich gehen alle anderen Lämpchen aus. Fürchte ich. „Ich brauche einfach im Moment noch etwas Zeit“, haucht Paula da. Uff! Das kann man als eine Art Entwarnung verstehen. Eine gewisse Perspektive schwingt mit. Eine gewisse. Naja.

Ich kriege es hin, ihr zu vermitteln, dass es okay ist. „Bleib‘ zuhause, wenn dir danach ist.“ Ich rate ihr, in der Klinik (in der sie arbeitet) anzurufen, um sich krank zu melden. Das hat Paula schon gemacht. Immerhin! Sie ist also einigermaßen klar und sachlich an die Sache rangegangen.

Ich stehe auf. Versorge die Kinder. Keines fragt, wo Mama ist. Vielleicht haben sie nicht bemerkt, dass die Tasche noch auf der Garderobe steht. Vielleicht! Als ich zur Arbeit gehe, die Kinder sind schon zum Bus gegangen, rufe ich, „Bin dann weg!“, nach oben. Von Paula kommt nur ein leises „ja“ zurück.

Im Büro rufe ich Paulas Schwester an. Noch bevor ich meine Jacke ausgezogen habe. Selbst die Wollmütze habe ich noch auf. Ich will mich mit meiner Schwägerin beraten. Darüber, ob ich Paula in eine psychiatrische Klinik bringen sollte, wenn ihr Zustand anhält bzw. sich weiter verschlechtert. Paulas Schwester ist schockiert. Eine Stunde später ruft sie mich zurück. Sie könne Paula nicht erreichen. Nicht auf dem Festnetz. Nicht auf dem Handy. Sie fahre jetzt zu ihr.

Der Bürotag ist gelaufen. Ich kriege nichts mehr auf die Reihe.

2 Kommentare:

  1. Nimmt sie keine Medikamente? Nichts? Oh man wie schrecklich , all das muss nicht sein .... Das tut schon beim lesen weh ...

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  2. Das frage ich mich auch die ganze Zeit sie brauch doch viel mehr Hilfe um aus den Sog raus zu kommen..Habt ihr bei Euch das Bewo von der Phg? Gnaz toll,,Was hälst Du von einer Selbsthilfegruppe für Dich?LG

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