Dienstag, 29. Januar 2013

Das Menetekel

Es geht um die Wurst.

„Klar, mein Lieber“, werden viele sagen, „das ist ein Allgemeinplatz, wenn du über viele Jahre mit einer depressiven Partnerin zusammenlebst. Das solltest du selbst am besten wissen, Paul!“ „Leute, Leute“, sage ich grinsend, „selbstverständlich weiß ich das selbst am besten. Allerdings: Ich meine das hier und jetzt ganz wörtlich. Es geht um die Wurst!“

Die Wurst nämlich, die ich gerne zum Frühstück esse. Die habe ich eingekauft. Blöd nur, dass ich, während ich beim Metzger an der Theke stand, schon ein bisschen Hunger hatte. Ich hatte den Morgen ziemlich vertrödelt. So ungefähr zweieinhalb Stunden lang. Es war ja auch nur „ein bisschen Hunger“. Folglich habe ich auch nur ein bisschen mehr Wurst gekauft.

Ich sage nicht „zu viel Wurst“. Denn würden – so rein theoretisch – die (ausgeprägt carnivoren und pubertär bedingt verfressenen) Kinder auch nur ein einziges Mal Wurst zum Frühstück essen, wäre die ratz fatz weg. Aber so ist es eben nicht. Sie verputzen lieber (ein gefühltes Pfund) Müsli. Inkl. einem Liter Milch.

Nun pickt Paula mit hochgezogenen Augenbrauen und mit spitzen Fingern in der Wurstdose (Achtung product placement: Tupperware). Sie verrät mir, dass Frischwurst schneller verdirbt als abgepackte. („Ach Schatz, was ein Geheimnis“, denke ich, „die frische schmeckt aber besser.“) Von der ‚Hausmacher Leberwurst, fein geräuchert‘ würde sie eh‘ nichts essen. („Ich hatte“, denke ich, „Leberwurst eigentlich nur für die Kids und mich geplant. Du isst doch nie welche.“) Im Radio dudelt „Holiday“ von Madonna. Wie so ziemlich jeden Morgen zwischen halb sieben und halb acht irgendein Song von Madonna dudelt.

Die nächste Radiomeldung verstehe ich nicht ganz. Das Gekruschtel in der Tupperdose ist ziemlich laut. Wegen der Folienbeschichtung des Wursteinpackpapiers, das sie in der Metzgerei verwenden. Aber die Aufreißpackungen, in die länger als Frischwurst haltbare Wurst eingepackt wird, sind auch nicht leiser.

Ich hole hörbar tief Luft. Hörbar trotz des Gekruschtels und trotz Radio. Paula hört es natürlich auch. Ihr Hinweis, sie habe keine Lust ständig (mit drei „ä“ gesprochen) Lebensmittel wegzuwerfen, klingt in meinem Kopf schrill. Ich bin ein Morgenmuffel. Deshalb doppelt sich der Effekt. Und deshalb sage ich – mal wieder – nichts. Reiner Selbstschutz, das.

Unter der Dusche formuliere ich schon mal einen Teil meines nächsten Blog Posts:

Irgendwann ist Schluss. Schluss mit Rücksichtnahme auf die Depression. Schluss mit Ertragen-Wollen und auch mit Ertragen-Können (oder in umgekehrter Reihenfolge). Schluss mit Diskussionen über im Wohnzimmer liegengelassene Pullover, aus dem Mülleimer hängende Zahnseidenstücke oder eben (Wurst)einkäufe. Kurzum: Irgendwann muss einem das Hemd näher sein als die Jacke. Will sagen: Ab einem gewissen Punkt muss man(n) sich selbst schützen. Oder von mir aus "retten". So hart das klingt: Um die Zahl der "Verluste" zu verringern, muss man(n) den eigenen Arsch retten. Es gibt eine Welt jenseits der Depression!

Hmm, das könnte ich eigentlich auch mal an die Wand im Schlafzimmer schreiben. Das werde ich aber nicht machen. Schließlich ging es ja nur um die Wurst.

2 Kommentare:

  1. Hi...völlig wurscht worum es geht, jeder hat seine Grenzen! Wir sind ja auch nur Menschen und dabei keine professionellen Helfer, die sich in einer Schutzdistanz zurückziehen können: "wir sehen uns dann nächste Woche wieder, ach ne, da habe ich Urlaub, also dann in drei Wochen" Depressionen machen beide hilflos, machtlos, leer oder wütend und treiben beide an den Abgrund. Der depressive Mensch bekommt dann seinen Schutz und der andere? Wo soll der hin???

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  2. Es gibt auch Hilfe für Partner von Depressive..

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